Internet – Piratenpartei Deutschland https://www.piratenpartei.de Sun, 04 Jun 2017 11:20:23 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.7.5 https://www.piratenpartei.de/files/2016/12/cropped-logo-piratenpartei2015-150x150.png Internet – Piratenpartei Deutschland https://www.piratenpartei.de 32 32 Barrierefreiheit im Internet https://www.piratenpartei.de/2017/05/05/barrierefreiheit-im-internet/ https://www.piratenpartei.de/2017/05/05/barrierefreiheit-im-internet/#comments Fri, 05 May 2017 07:00:20 +0000 https://www.piratenpartei.de/?p=30177 Ein Gastbeitrag von Wolfgang Wiese (xwolf)

Fast genau vor 15 Jahren, am 1. Mai 2002, trat das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) in Kraft. Darin werden Rechte behinderter Menschen in Deutschland entsprechend des Artikels 3 Abs. 3 unseres Grundgesetzes („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“) auch für elektronische Informationsangebote wie das Web und andere grafische Programmoberflächen geregelt.
Das Gesetz läutete eine notwendige Kehrtwende in der Behandlung von Menschen mit Behinderungen ein: War es vorher noch üblich und erlaubt, die Betroffenen auf „Hintereingänge“ zu verweisen und jegliches Entgegenkommen als Akt der Großherzigkeit darzustellen, verlangte dieses Gesetz eine Gleichstellung aller Menschen. Menschen mit Behinderungen dürfen nicht mehr schlechter gestellt werden als andere. Ein Zugang zu physikalischen oder auch virtuellen Räumen muss für alle gleichermaßen offen stehen. Und zwar jedem nach seinen Möglichkeiten.

Das Gesetz galt nicht nur für die physikalische Welt, an die viele denken, wenn von Barrierefreiheit geredet wird. Es gilt auch für das Internet.

Für Deutschland regelt die „Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz“ (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung, kurz BITV), die Umsetzung. Die BITV wurde vor mehreren Jahren nach und nach von allen Bundesländern in Form eigener Landesverordnungen umgesetzt. Oftmals wurden großzügige Übergangsregelungen eingeräumt, die es Behörden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts erlaubten, den Umstieg langsamer vorzunehmen. Glücklicherweise sind inzwischen alle Fristen abgelaufen. Theoretisch müsste also heutzutage jede Website einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung, sowohl des Bundes als auch der Länder, barrierefrei zugänglich sein.

Die Praxis sieht leider ganz anders aus. Die Verpflichtung wurde nicht nur nicht eingelöst, viele Webangebote, die in den Jahren 2003 bis 2011 unter Berücksichtigung der Barrierefreiheit gestaltet wurden, haben diese Eigenschaft wieder verloren.

Das Gesetz und die Verordnungen hatten von Anfang an einen grundlegenden Fehler: Die Umsetzung und Kontrolle wurde und wird nur nachlässig behandelt, da es weder effektive Sanktionsmöglichkeiten noch Klagerechte für Betroffene gibt. Zudem enthält die Verordnung verschiedene Ausnahmetatbestände, auf die sich ein Website-Betreiber berufen kann, u.a. die Behauptung vermeintlich zu hoher Kosten. Zwar gibt es theoretisch die Möglichkeit von Verbandsklagen, doch diese wird nicht wahrgenommen: Kein Behinderten-Verband, welcher von verschiedenen Ministerien finanziell abhängig ist, wird es sich mit einer Landes- und oder Bundesregierung verscherzen wollen.

Die rechtlichen Instrumente zur Durchsetzung von Barrierefreiheit haben sich auch für Juristen als überaus unzureichend erwiesen. Der Versuch, mit Hilfe von Zielvereinbarungen entsprechende Verbindlichkeiten durchzusetzen, hat sich in der Praxis ebenfalls als wirkungslos erwiesen; die Medienberichterstattung über Zielvereinbarungen von großen Unternehmen stellten sich im Nachhinein oft als bloße Marketingmaßnahmen heraus.
Ein weiterer großer Fehler lag darin, dass das Gesetz nur Einrichtungen des öffentlichen Dienstes betrifft, die Wirtschaft jedoch außen vor lässt.
Die Hoffnung bestand, dass durch eine große Anzahl an barrierefreien Webangeboten die Wirtschaft von selbst und aus eigenem Interesse an Kundenzuwächsen nachziehen würde.

Dieser Anfangsfehler wurde auch durch eine Novellierung im Jahr 2011 nicht behoben.
Gleichzeitig sank (auch aufgrund von personellen und politischen Veränderungen im Umfeld der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern) das Engagement von bekannten Verbänden und Playern in Sachen Barrierefreiheit im Internet.
So beendete die Aktion Mensch und die Stiftung Digitale Chancen den bis dahin einzigen anerkannten Wettbewerb, den BIENE-Award, der zwischen 2003 und 2010 als Leuchtturm und Trendsetter für moderne Webentwicklung im deutschsprachigen Raum wirkte.

Andere Länder in Europa waren in Sachen Durchsetzung weniger nachlässig und damit erfolgreicher als Deutschland. So gilt beispielsweise in England der Equality Act 2010: Alle Unternehmen, Serviceanbieter und staatliche Stellen sind danach verpflichtet zu prüfen, welche angemessenen Veränderungen sie machen können, um ihr Angebot barrierefreier zu machen. Auf diese Änderungen hat man auch im Berufsleben Anspruch, sonst liegt eine schadenersatzpflichtige Diskriminierung vor.

Rettung EU-Richtlinie?

Vor einigen Jahren bestand noch Hoffnung auf Verbesserung durch eine neue EU-Richtlinie. Diese sollte vor allen Dingen auf die mangelhafte Umsetzung in einigen Ländern der EU – eben auch Deutschland – hinweisen und Abhilfe schaffen. Die EU arbeitete über vier Jahre an der Richtlinie „über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen“. Sie wurde im Oktober 2016 veröffentlicht und im Dezember 2016 in Kraft gesetzt. Bis September 2018 haben die Mitgliedsstaaten nun Zeit, diese Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

Leider erweist sich diese Richtlinie als Rückschritt. Offensichtlich haben sich dieselben Kräfte in Brüssel durchgesetzt, die auch in Deutschland dafür sorgten, dass die BITV in den Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftsministerien fiel und zum zahmen Tiger wurde:

So werden unter „Artikel 1 Gegenstand und Anwendungsbereich“ zahlreiche Ausnahmen zugelassen. Im Gegensatz zur BITV 2.0 ist Barrierefreiheit nicht verpflichtend für alle Auftritte und Inhalte. Öffentliche Stellen sollten „stets — soweit dies vernünftigerweise möglich ist — barrierefrei zugängliche Alternativen auf ihren Websites oder in ihren mobilen Anwendungen hinzufügen“. Inhalte archivierter Websites oder mobiler Anwendungen, die nicht mehr aktualisiert werden, müssen nicht barrierefrei sein. Auch öffentliche Stellen sollen „Barrierefreiheitsanforderungen in dem Maße anwenden, dass sie keine unverhältnismäßige Belastung für sie darstellen“ .

Weitere Ausnahmen betreffen Websites und mobile Anwendungen von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ebenso wie die von „NRO, die keine für die Öffentlichkeit wesentlichen Dienstleistungen oder speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ausgerichteten oder für diese konzipierten Dienstleistungen anbieten“.
Zudem werden zahlreiche Inhalte von Websites und mobilen Anwendungen ausgeschlossen, zum Beispiel auch live übertragene zeitbasierte Medien. Mitgliedsstaaten können weiterhin „Websites und mobile Anwendungen von Schulen, Kindergärten oder Kinderkrippen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausnehmen, mit Ausnahme der Inhalte, die sich auf wesentliche Online- Verwaltungsfunktionen beziehen“.

Politisches Versagen und Torpedierung guter Ansätze

15 Jahre nach Einführung des Behindertengleichstellungsgesetzes sind wir somit keinen Schritt weiter gekommen. Die Politik hat sich in Deutschland nicht voran bewegt. Die bekannten Probleme des Gesetzes und der Verordnungen wurden nicht behoben.
Viele aktive Menschen aus der professionellen Webdesigner- und Barrierefreiheits-„Szene“, die sich jahrelang ehrenamtlich und beruflich engagierten, mussten zusehen, dass mit dem Einsatz für Barrierefreiheit im Internet kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist.
Erschwerend kommt hinzu, dass Barrierefreiheit von vielen kleinen wie auch großen Webagenturen zu einem Teil des üblichen Produktportfolios geworden ist, ohne dass es jedoch tatsächlich umgesetzt wurde.
Viele Agenturen verkaufen ihre Webanwendungen unbedarften Kunden als barrierefrei, erfüllen jedoch in der konkreten Umsetzung nicht einmal die rudimentärsten Grundlagen der barrierefreien Webgestaltung.
Eine Handhabe gegen solche unseriösen Geschäftspraktiken gibt es genauso wenig, wie es ein Klagerecht der hiervon Betroffenen gibt.

Pressemeldungen aus dem Kreis der aktuellen Regierungskoalition, die sich zum Protesttag selbst loben und trotzdem gleichzeitig von einer notwendigen „Offensive für Barrierefreiheit“  reden, wirken wie blanker Hohn gegenüber all denjenigen, denen das Thema tatsächlich am Herzen liegt und die sich tatsächlich aktiv für Verbesserungen einsetzen.

Menschen mit Behinderungen werden auf dem Papier und auf mit ausreichend Presse ausgestatteten Veranstaltungen unterstützt und vorgezeigt. Doch in der Sache stehen sie schlechter da als noch vor 15 Jahren. Und mehr noch: Erfolgreiche Umsetzungen anderer Länder, wie beispielsweise in England, werden nunmehr durch die neue EU-Richtlinie torpediert.

Dies bietet wahrlich keinen Grund zu feiern.

Lichtblick „Generation Internet“ und Digitalisierung

Durch die stetige weitere Nutzung des Internets und die Durchdringung von internetfähigen Systemen (Liebhaber des digitalen Bullshit Bingo bemühen hier die Bezeichnung „Cyberphysische Systeme“) wird die Einhaltung von Standards ein immer wichtigerer Faktor für das Funktionieren von Software, digitalen Assistenten, Bots und autonom funktionierenden Systemen. Der Austausch von Daten über Verfahren wie die RESTful API oder das Vorhalten von strukturierten Daten gemäß Schema.org erweist sich zunehmend als fruchtbar für alle Nutzer des Internet – ob sie diese Verfahren bewusst bemerken oder nicht. Screenreader können Texte durch eine saubere Semantik besser interpretieren und so effektiver verständlich machen; digitale Assistenten können durch die Erkennung von Microformats in Webseiten Inhalte leichter finden und korrekter interpretieren.
Die Standards sind zudem offen und allgemein nutzbar. Dies führt zu weiteren Möglichkeiten: Daten und Inhalte können nunmehr gemäß der Bedürfnisse und Anforderungen des Nutzers interpretiert, gespeichert, verarbeitet und zu etwas Neuem kombiniert werden.

Nicht der Gesetzgeber, nicht Verbandslobbys und auch nicht Vertreter von Großkonzernen sind hier die Treiber von Innovationen und Verbesserungen. Es sind die einzelnen Menschen, die durch Nutzung dieser neuen Verfahren die Möglichkeiten (wieder-)erlangen, die sie in den Pionierjahren des Internets hatten: Alle Menschen, ganz unabhängig von Behinderung oder Einschränkungen, können nicht nur teilhaben, sondern sich auch beteiligen. Menschen verlassen (wieder) die Rolle der passiven Konsumenten und können erneut zum aktiven Sender werden.

Diese Möglichkeiten, diesen Lichtblick sollten wir nutzen. Dafür gibt es einen Grund, aufzustehen, heute am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung!

 

Über den Autor:

Wolfgang Wiese (xwolf) ist seit 1994 als Netizen (bzw. „Digital Native“) im Internet beheimatet. Er berät seit mehreren Jahren Firmen und den öffentlichen Dienst in Sachen Barrierefreiheit im Internet und moderner Webentwicklung. Seit 2006 organisiert er den Webkongress Erlangen, der inzwischen als einer der wichtigsten, nicht kommerziell ausgerichteten Kongresse im deutschsprachigen Raum für Webentwicklung und Webdesign gilt. Hauptberuflich ist er an der Universität Erlangen-Nürnberg angestellt und koordiniert und managed dort den Betrieb von über 1100 Webauftritten der Universität sowie von Kooperationen und anderen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes in Nordbayern.
Seit Januar 2017 ist er als ehrenamtlicher Beauftragter für die Webseite der Piratenpartei Deutschland tätig.

 

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Bitte unterstützt das Projekt einer EU Charta. Bringt Euch ein! https://www.piratenpartei.de/2016/12/04/bitte-unterstuetzt-das-projekt-einer-eu-charta-bringt-euch-ein/ https://www.piratenpartei.de/2016/12/04/bitte-unterstuetzt-das-projekt-einer-eu-charta-bringt-euch-ein/#respond Sun, 04 Dec 2016 19:41:58 +0000 https://errol.piratenpartei-bayern.de/?p=27507 Mit Monatsbeginn hat eine „Gruppe von „27 BürgerInnen und Bürgern“ ein Dokument vorgestellt, das sie als „Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union“ betitelt haben. 14 Monate haben sie darüber gebrütet und 23 Artikel erarbeitet, die eine Grundlage darstellen sollen, um daraus ein Dokument zu erarbeiten, das den Menschen die Freiheit und Gerechtigkeit nicht nur im Netz sondern im Kontext der Digitalisierung überhaupt garantiert. Also eine Charta, die auch für die Gegenwart und die nächsten 20 Jahre Gültigkeit haben kann, weil sie nicht in der digitalen Urzeit entstanden ist. Es ist nicht das erste Dokument, das dieses Ziel hat, aber es ist das erste der EU, das explizit den Menschen im Umfeld der Digitalisierung betrachtet und von Bürgern initiiert wurde.

Ich finde es großartig, dass es diese Initiative gibt, und dass sie es schafft, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wie wichtig es ist, die Rechte und Freiheiten der Menschen zum Diskussionsmittelpunkt werden zu lassen, um sie anschließend auch gesetzlich greifbar zu machen. Die Intention der Initiatoren finde ich überaus lobenswert und in jedem Fall unterstützenswert. Da aber gleichzeitig auch angekündigt wurde, nur wenige Tage später ebenjenes Dokument dem EU-Parlament vorzulegen, bekam das Werk natürlich umgehend ein Geschmäckle, da es den vermeintlichen Sinn und Zweck einer allgemeinen Diskussion zuwiderlaufen schien. Glücklicherweise gibt es mittlerweile eine Klarstellung dazu.

Denn in der Tat gibt es in meinen Augen noch einiges nachzuarbeiten. Auch wenn ich mich hinter einen Großteil der Artikel guten Gewissens stellen kann. Folgende Artikel sind für mich aber absolute No-Gos, die man nicht unterzeichnen darf! (Allerdings hoffe ich, dass dies vielleicht nur im Zuge einer eiligen Veröffentlichung missverständlich formuliert wurde – jeder, der an einem ähnlichen Prozess teilgenommen hat, weiss, wie schnell so etwas passieren kann.)

Für mich sind dies die folgenden Artikel:

Artikel 5

„(2) Digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrtheit einer Person ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern.“
„(4) Staatliche Stellen und die Betreiber von Informations- und Kommunikationsdiensten sind verpflichtet, für die Einhaltung von Abs. 1, 2 und 3 zu sorgen.“

Man kann jetzt darüber streiten, ob man privaten Unternehmen, hier IuK-Dienstleistern, erlaubt, zu zensieren. Was absurd wäre, denn Zensur geht gar nicht! Wie sollte beispielsweise die Arbeit von den wichtigen aufklärenden Medien, wie z.B. netzpolitik.org weitergeführt werden, oder es zu einer Offenbarung von manipulierten Lebensläufen oder falschen Habilitationen etc kommen, wenn die Absätze 2, 3, und 4 dieses Artikels jemals in Rechtsform gegossen wären? Wenn wir darin übereinstimmen, dass Journalismus und damit die vierte Säule der Demokratie zukünftig im wesentlichen digital arbeitet und von den Bürgern genutzt wird, dann schließt das ja beispielsweise jede Art von Kontrolle durch unsere Volksvertreter aus! Dies läuft damit also nicht nur meinen persönlichen liberalen Grundbedürfnissen entgegen, sondern auch der Form, in der unsere Demokratie organisiert ist.

Ich lehne jede Formulierung ab, die eine Möglichkeit zur Zensur bietet.

Artikel 4(2),

der den Zugriff auf von privaten Unternehmen oder Privatpersonen erhobene Daten durch staatliche Stellen versucht zu regeln.

„Sicherheitsbehörden dürfen nicht auf durch Private erhobene Daten zugreifen. Ausnahmen sind nur auf gesetzlicher Grundlage zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter zulässig.“

Hier wünsche ich mir, dass dies enger gefasst wird, und nicht lediglich auf die (nationalen?) Gesetze Bezug genommen wird. Denn in diesen finden sich im Zweifelsfall die in der Charta definierten Freiheitsrechte nicht wieder.

Artikel 21

„(1) Arbeit bleibt eine wichtige Grundlage des Lebensunterhalts und der Selbstverwirklichung.“

Ja, es ist eine wichtige Grundlage zur Selbstverwirklichung. Aber als wichtige Grundlage des Lebensunterhalts sehe ich das nicht, vor dem Hintergrund des Wegfalls vieler Berufe im Informationszeitalter, und daher bin ich dagegen, das so zu fassen. Immerhin ist es kein „Würde hat, wer Arbeit hat“, aber bei dem Artikel bin ich deutlich vorsichtiger.

Artikel 20

„Rechteinhabern steht ein fairer Anteil an den Erträgen zu, die aus der digitalen Nutzung ihrer Immaterialgüter erwirtschaftet werden.“

Es wird beim Lesen offensichtlich, und Julia Reda hat das bereits ausführlicher dargestellt. Es gibt einen Unterschied zwischen denen, die ein Gut geschaffen haben, und den Rechteinhabern. Nicht beide sind in meinen Augen gleichermaßen schützenswert. Aber vor allem: Wie weitreichend ist der Anspruch auf Erträge aus digitaler Nutzung? Wesentlicher Bestandteil von Informationen oder Daten – und darum geht es hier ja im wesentlichen – sind ohne Kosten teilbar. Und vor allem gibt es viele Dienstanbieter, die eben genau diese Daten weiterverarbeiten, und das wiederum kostenpflichtig anbieten. Sie nannte Musikdienstanbieter wie Songkick, aber genauso beispielsweise für Verkehr oder Nachrichten. In welcher Tiefe sollten denn Rechteinhaber (anstatt der Urheber) daran partizipieren? Und was soll es überhaupt für einen Modus geben, das jemals finanziell handhabbar zu machen? So, wie der Artikel jetzt steht, öffnet er Tür und Tor für Missbrauch, der letzten Endes dazu führen kann, unsere digitalen Wertschöpfungsketten zu zerstören.

Darüber hinaus gibt es mehrere „kleinere“ Passagen, die ich unklar finde, aber bei denen ich den weiteren Verlauf beobachten werde, bzw. versuche, mich so gut es geht selber einzubringen, um das zu adressieren.

Viel Gutes

Aber es ist genauso auch festzuhalten, dass Themen, die für mich als Pirat schon immer wichtig waren, hier ihren Niederschlag gefunden haben. Ich könnte den Großteil der verbleibenden Artikel jetzt zitieren, aber ich will nur einige herausgreifen:

  • Es freut mich, dass Artikel 9 zur Transparenz den Weg in die Charta gefunden hat. In meinen Augen ist das nicht selbstverständlich, wenn es vorrangig um die Würde, Freiheit und Gleichheit geht. Hier zeigt sich die Erfahrung und Weitsicht, wie eng diese Werte mit der Transparenz der gesammelten Informationen in staatlichen Stellen zusammenhängt beziehungsweise zusammenhängen wird.
  • Artikel 10 ist Balsam für die Seele jedes Liberalen, der sich damals von der FDP verraten fühlte. Kein Wunder, dass Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Charta unterstützt, mich würde nicht wundern, wenn sie das alleine deswegen tut.
  • Artikel 11, 12 und 18. Auch hier fühlt man sich ja gleich zu Hause. Es kommt einem vor, als würde man im Grundsatzprogramm der Piraten sitzen.
  • Artikel 20. Wer mehr als nur die Gegenwart gestalten will, muss ein Konzept für Bildungspolitik haben. Und hierzu gehört unumgänglich das Thema Digitale Bildung. Hervorragend, dass auch dies Eingang in die Charta gefunden hat. Politiker egal welcher Couleur müssen über Bildungskonzepte für das 21. Jahrhundert sprechen. Das sind wir der Gesellschaft schuldig. Das ist unsere Verantwortung für die Zukunft!

Beteiligung der Bürger bei der Gestaltung der Gesellschaft, insbesondere der Freiheitsrechte, ist für mich seit Jahren eines der wichtigsten Themen. Darum bitte ich jeden, sich hier in die Diskussion und Gestaltung mit einzubringen und mitzuhelfen, an dieser Charta zu arbeiten, damit sie unsere Wünsche und Bedürfnisse widergibt und ein Fundament sein kann, mit dem wir endlich die Grundpfeiler bauen, um auch in den Institutionen im 21. Jahrhundert anzukommen.

Bewusst wurde darauf verzichtet, dass Parteien diese Charta erarbeiten, damit dies von den Bürgern getragen wird und nicht von parteipolitischen oder lobbyistischen Bestrebungen. Daher ist es in meinen Augen umso wichtiger, dass jeder, der dieses Projekt sinnvoll unterstützen kann, seine Hilfe anbietet.

Vielen Dank.

Euer Kristos

(Dieser Blogpost wurde zeitgleich auch auf www.kristos.de publiziert)

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Hände weg von der Anonymität im Netz – Vorgeschobene Argumente für die Totalüberwachung https://www.piratenpartei.de/2016/07/24/haende-weg-von-der-anonymitaet-im-netz-vorgeschobene-argumente-fuer-die-totalueberwachung/ https://www.piratenpartei.de/2016/07/24/haende-weg-von-der-anonymitaet-im-netz-vorgeschobene-argumente-fuer-die-totalueberwachung/#respond Sun, 24 Jul 2016 10:58:54 +0000 https://errol.piratenpartei-bayern.de/?p=27718 Stefan Körner, Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland:

»Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist nach aktuellen Geschehnissen in seinen üblichen Reflex verfallen und fordert seine angeblichen „Allheilmittel“ gegen Straftaten, Hetze, Attentätern und allerlei anderen Dingen. In der Debatte nach dem Amoklauf von München ist das nicht anders. Der Innenminister will den Bürgern an ihr Recht auf anonyme Kommunikation:

Er hält Anonymität in der Kommunikation – gerade im Internet – für keinen Fortschritt für die demokratische Kultur. Er hält Vermummung im Internet für genauso falsch wie bei einer öffentlichen Demonstration. Die Anonymität im Netz hat mit dem aktuellen Fall nun aber auch so gar nichts zu tun. Um den Angriff auf die Freiheit der Bürger im Netz zu überdecken, hat der Innenminister die alte Debatte über „Killerspiele“ als Ursache für Verrohung und Antrieb zu Amokläufen in die Debatte geworfen. Nicht bedacht hat er, dass sich der Attentäter von München auch über Bücher zu Amokläufen informiert hat. So wird dann gerne übersehen, worum es hier geht und die öffentliche Aufregung abgelenkt. Anonymität ist ein Stück Freiheit und eine demokratische Gesellschaft muss es auch mal aushalten, dass sie nicht alles von jedem gleich weiß. Der einzelne Mensch wird für die Behörden erst dann wichtig, wenn er im Begriff ist, eine Straftat zu verüben, nicht bereits, wenn er sein Recht auf Meinungsfreiheit ausübt. Die PIRATEN wollen hier definitiv keine Einschränkungen. Kein weiterer Schritt in Richtung Totalüberwachung und Polizeistaat.«

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