Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften – Piratenpartei Deutschland https://www.piratenpartei.de Sun, 04 Jun 2017 11:20:23 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.7.5 https://www.piratenpartei.de/files/2016/12/cropped-logo-piratenpartei2015-150x150.png Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften – Piratenpartei Deutschland https://www.piratenpartei.de 32 32 Trotz Gesetzesreform: Cannabis ist in diesem System nicht verfügbar https://www.piratenpartei.de/2017/03/08/trotz-gesetzesreform-cannabis-ist-in-diesem-system-nicht-verfuegbar/ https://www.piratenpartei.de/2017/03/08/trotz-gesetzesreform-cannabis-ist-in-diesem-system-nicht-verfuegbar/#comments Wed, 08 Mar 2017 17:34:15 +0000 https://www.piratenpartei.de/?p=29562 Berlin. Das vom Deutschen Bundestag am 19. Januar 2017 beschlossene „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ regelt unter anderem den Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten.“ Am 10. Februar 2017 hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt. Bis heute wurde das Gesetz im Bundesanzeiger nicht veröffentlicht, und selbst wenn dies noch im März 2017 geschehen sollte, ist eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen noch lange nicht umfassend gewährleistet.

Andreas Vivarelli, Bild: Moritz Pieper

Doch es gibt weitere Probleme: „Noch ehe das Gesetz in Kraft tritt, sind bereits Versorgungslücken bekannt. Die Qualität der legal angebotenen Produkte erscheint zweifelhaft und ob eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen stattfinden wird, ist keinesfalls sicher“, beklagt Andreas Vivarelli, drogenpolitischer Sprecher der Piratenpartei Deutschland. Sollte der zu erwartende Schwung neuer Patienten hinzukommen, sei mit einem Chaos zu Lasten aller Patienten zu rechnen. Vivarelli: „Es wird allerhöchste Zeit, dass der Anbau bzw. der Ankauf von Cannabisblüten oder Extrakten den Patienten überlassen wird, um den Problemen, die einer repressiven Politik geschuldet sind, aus dem Weg gehen zu können.“

Flächendeckende Versorgung mit Cannabisblüten ist eine reine Wunschvorstellung

Anmerkung: Die folgenden zwei Abschnitte wurde nach der ursprünglichen Veröffentlichung des Beitrags am 9. März, 19.15 Uhr ergänzt:

Dass medizinisches Cannabis aktuell nur schwer in Deutschland zu bekommen sei, schildert ein Betroffener, der seinen Namen nicht in diesem Beitrag lesen möchte, im persönlichem Dialog dem drogenpolitischen Sprecher der Piratenpartei Deutschland. Er berichtet von seinem jüngsten Besuch einer Apotheke in Duderstadt. Dort bestätigt man ihm auf einer ausgedruckten E-Mail der Pedanios GmbH aus Berlin schriftlich, dass es wiederholt zu Lieferschwierigkeiten gekommen sei. Das entsprechende Dokument liegt der Piratenpartei Deutschland in Kopie vor. Der Betroffene schildert Andreas Vivarelli, dass in der E-Mail der Pedanios GmbH an die Apotheke einer Mitarbeiterin mitgeteilt würde, dass bis zum heutigen Tage (E-Mail vom 07. März 2017, 12.38 Uhr) keine der Medizinal-Cannabisblüten-Varietäten Pedanios 22/1, Pedanios 16/1, Pedanios 18/1, Pedanios 8/8 lieferbar seien. Als voraussichtliche unverbindliche Liefertermine würden für Pedanios 22/1, Pedanios 16/1, Pedanios 18/1 April 2017 und für Pedanios 8/8 Ende April 2017 genannt. Der Geschäftsführer der Pedanios GmbH aus Berlin, Patrick Hoffmann, widerspricht nach Erscheinen dieses Artikels jedoch der Darstellung seines Mitarbeiters gegenüber der Piratenpartei Deutschland: Er führt an, dass die Sorten Pedanios 22/1 und 14/1 bereits seit Januar verfügbar gewesen sein und die Sorte Pedanios 14/1 verfügbar sei.

Der betroffene Aphoteken-Kunde, soviel gehört zur Wahrheit ebenfalls dazu, hat sein medizinisches Cannabis jedoch bis heute, (9. März 2017, 16.39 Uhr) noch nicht erhalten. Gegenüber der Piratenpartei Deutschland bestätigt der Kunde vielmehr (Zitat): „Hiermit bestätige ich an eides statt, dass mir am Montagmorgen, den 6.03.2017, von Seiten meiner Apotheke folgende Aussage gemacht wurde: Das Medikament Pedanios 22/1 ist erst wieder im April 2017 verfügbar. Das Medikament Princeton wäre ebenfalls nicht verfügbar, Es wäre nur Bedrocan noch lieferbar.“ Er führt zudem an, dass er über acht Jahre lang Bedrocan bezogen, sich dort jedoch eine Gewöhnung eingestellt habe. Dieses Medikament könne er daher nicht mehr verwenden, da es nicht mehr seine volle Wirkung entfalten könne. Der Betroffene betont: „Der Organismus kann sich an bestimmte Arzneimittel gewöhnen. Man spricht dann auch von einer Toleranz oder Toleranzentwicklung. Die Toleranz ist etwas völlig anderes, als eine Arzneimittelabhängigkeit. Gewöhnung tritt nach wiederholter Zufuhr von Arzneistoffen auf, sodass die Dosis gesteigert werden muss, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Dieser Effekt kann bei Arzneimitteln der unterschiedlichsten Klassen auftreten, also nicht nur bei Substanzen, die auf die Psyche wirken.“ Zudem übt er harsche Kritik in Richtung der Produzenten von medizinischem Cannabis: „Es kann nicht sein, dass Patienten gezwungen werden von einem Medikament zu einem andern zu hüpfen bzw. zu wechseln, wenn man auf einem Medikament gut eingestellt ist!“ Dieser Kritik schließt sich Andreas Vivarelli ausdrücklich an.

Eine flächendeckende Versorgung mit Cannabisblüten als Medikament stellt sich bei umfänglicher Betrachtung als reine Wunschvorstellung heraus: Es ist unwahrscheinlich, dass Deutschlands Apotheken sich rechtzeitig mit den Arzneien versorgen können.

Der Gesetzgeber hat überdies noch Stolpersteine eingebaut, so dass zu erwarten ist, dass die Versorgung der Patienten in Zukunft nicht gewährleistet werden kann. Noch problematischer wird die Kostenübernahme. Danach gelten für die Cannabisverordnung „die Regelungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106 ff. SGB V“. Heißt im Klartext: Die alte Richtgrößenprüfung soll durch regionale Wirtschaftlichkeitsvereinbarungen abgelöst werden. Also steht zu befürchten, dass Ärzte aufgrund mangelnder Kenntnisse über die medizinische Anwendung und der berechtigten Sorge vor Regressforderungen auch zukünftig von der Verschreibung von Cannabisprodukten absehen werden.

Eine weitere, unschöne Nebenerscheinung ist eine Art „Nebenstrafrecht“, das sich in Deutschland in den vergangenen Jahren etabliert hat: Konsumenten, selbst wenn sie nicht berauscht am Steuer sitzen, müssen andauernd mit dem Verlust ihres Führerscheins rechnen, sofern bei Kontrollen bestimmte Dosen Cannabis oder dessen Abbauprodukte im Blut nachgewiesen werden können. Eine Grundsatzentscheidung der obersten Gerichte steht noch aus, also werden Betroffene und Patienten noch jahrelang unter willkürlichen Regelungen zu leiden haben. Die Reform des Betäubungsmittelgesetzes ist ohnehin erst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. April 2016 zustandegekommen, das einem Patienten nach jahrelangem Rechtsstreit das befristete Recht zur Selbstversorgung eingeräumt hatte. Diesem wollte der Gesetzgeber wiederum einen Riegel vorschieben. Im Zuge der oben erwähnten Lücken bleibt der beabsichtigte Erfolg sehr zweifelhaft.

Die Versorgungslage für Patienten wird durch einen weiteren Umstand noch verschärft: In letzter Zeit häufen sich die Meldungen, dass die Qualität der angebotenen Produkte, die etwa aus den Vereinigten Staaten importiert werden, einer Heilung bzw. Linderung im Wege steht. Die angebotenen Pflanzen sind oft mit Schimmel befallen und beinhalten grenzwertige Konzentrationen von Dünger, Pestiziden und Fungiziden.

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Medizinisches Cannabis: Der Seiltanz des Hermann Gröhe https://www.piratenpartei.de/2017/01/18/medizinisches-cannabis-der-seiltanz-des-hermann-groehe-2/ https://www.piratenpartei.de/2017/01/18/medizinisches-cannabis-der-seiltanz-des-hermann-groehe-2/#comments Wed, 18 Jan 2017 19:48:16 +0000 https://www.piratenpartei.de/?p=28862 Am 19. Januar 2017 wird im Bundestag das „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ beraten und verabschiedet. Dieses Gesetz würde die jahrzehntelangen Schikanen, denen sich schwerkranke Patienten und ihre Ärzte beim medizinischen Einsatz von Cannabis ausgesetzt sahen, weitestgehend unterbinden.

Die Verabschiedung des Gesetzesvorschlages hatte lange auf sich warten lassen: Ein erster Termin im Frühjahr 2016 verschob sich auch aufgrund von Verfahren, bei denen Patienten versuchten, ihre Rechte einzuklagen, bis jetzt. Doch anscheinend hat sich das Warten gelohnt: Laut der Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente (ACM) sind im Gegensatz zum ersten Referentenentwurf nicht nur einige Krankheitsbilder hinzugenommen worden, auch die Finanzierung des medizinischen Cannabis durch die Krankenkassen wäre dann wohl in den meisten Fällen gewährleistet.

Ebenso machen die Begründungen für die Ergänzung des Gesetzesentwurfes deutlich, dass schwerkranke Patienten nicht erst einen jahrelangen Leidensweg mit schweren Nebenwirkungen hinter sich bringen müssen, ehe man ihnen „gnädigerweise“ Cannabis verschreiben darf. Es reicht, wenn die behandelnden Ärzte nachweisen können, dass andere Therapieformen nicht vorhanden sind oder schwerste Nebenwirkungen hervorrufen könnten. Krankenkassen würden dann nur in begründeten Ausnahmefällen gegen die Verschreibung von medizinischen Cannabisblüten vorgehen können.

Das würde auch die Therapiehoheit der Ärzte stärken und die Versorgung von Palliativ-Patienten erheblich erleichtern, die ohnehin bereits tödlich erkrankt sind – die also, wie es in schönstem Amtsschimmeldeutsch heißt: „… die an einer nicht heilbaren, fortschreitenden oder weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung leiden.“ Gerade sie sollten nicht leiden müssen und eine angemessene, ambulante, zügige Versorgung und Kostenübernahme für medizinischen Cannabis erhalten. Und zwar je nach Einzelfall binnen drei Tagen – nicht erst nach drei bis fünf Wochen, in denen bisher noch Gutachten erstellt oder der medizinische Dienst der Krankenversicherung eingeschaltet werden muss.

Vorausgesetzt, dass das Gesetz am 19. Januar 2017 im Bundestag durchgewunken wird, brauchen Patienten keine mit hohem bürokratischen Aufwand verbundene Ausnahmegenehmigung bei der Bundesopiumstelle (BfArM – Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) mehr zu beantragen; der Besuch beim Hausarzt reicht. Ob sich jeder Hausarzt darauf einlassen wird, ist fraglich, denn bis heute gibt es keine Leitlinien für den Einsatz von medizinischem Cannabis.

Der Kampf der Patienten, ob nun als NGO oder vor Gericht, scheint nun endlich Früchte zu tragen, wobei trotzdem immer noch nicht klar ist, ob wirklich alle Patienten zukünftig flächendeckend versorgt werden und die Finanzierung ihres Cannabis-Medikaments gewährleistet ist. Das Gesetz wird sich bewähren müssen und die Praxis wird zeigen, wo die Lücken sind, die es zu schließen gilt. Die Pharmaindustrie und die Krankenkassen werden sicherlich nichts unversucht lassen, um den derzeitigen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe von dem dünnen Seil zu schubsen, auf dem er da balanciert.

Andreas Vivarelli, drogenpolitischer Sprecher der Piratenpartei Deutschland, sagt hierzu: „Wenn das Gesetz tatsächlich verabschiedet wird, freuen wir PIRATEN uns für die vielen Patienten und danken den Menschen, Medizinern und Aktivisten, die hier die Pionierarbeit geleistet haben; insbesondere den Patienten, die trotz ihrer Krankheit den steinigen Weg gegangen sind. All die Ausnahmegenehmigungen, die zahlreichen Demonstrationen und Petitionen und nicht zuletzt die Gerichtsprozesse, die nicht nur Geld kosteten, sondern auch jahrelanges Leid der Betroffenen, haben diese Gesetzesänderung erst ermöglicht. Die Piratenpartei fordert seit Jahren, dass Patienten ohne Wenn und Aber mit medizinischem Cannabis versorgt werden können, ohne draufzahlen zu müssen. Wir sehen nun zumindest einen kleinen, aber nicht unwesentlichen Teil unserer drogenpolitischen Ziele in greifbarer Nähe.“

Wer die Sitzung im Bundestag live verfolgen möchte, kann am Donnerstag um 12:00 Uhr den Sender Phoenix einschalten oder sich auf http://www.bundestag.de/ den Livestream ansehen.

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